Textauszug aus dem Katalog "Der vierte Ton"

Es ist bezeichnend und für den Gesamteindruck wichtig, dass Zierl die Farbe ohne Verwendung des Pinsels direkt mit den Händen aufträgt. Als wuchtige und vitale Kontrapunkte und als Ausweis einer künstlerischen Glaubwürdigkeit, die sich nicht in Ästhetizismen verliert, schreiben sich häufig sogar die Abdrücke ihrer Handflächen und gelegentlich auch die Abdrücke von Schuhsohlen in die filigrane Gestalt der Zeichnungen ein.

Im schwer vernehmlichen dumpfen Widerhall literarischer, bildkünstlerischer und lebensweltlicher Sujets rühren die Bilder eher an dunkel-bewusstem verschüttetem Wissen und Erinnern, oder sie ähneln unwillkürlich aufzuckenden und willentlich nicht abrufbaren Nachklängen von Träumen, Tagträumen oder überpersönlich-mystischen Grenzerfahrungen.

Das unbestimmte Erinnern und Assoziieren, welche jede Zeichnung auf ihre Weise evoziert, bietet dem Betrachter Anknüpfungspunkte und rührt an vielen, sich in Gegenwart und Vergangenheit verästelnden und verlierenden Bewusstseins- und Empfindungsschichten. Das macht aus Hiltrud Zierls Zeichnungen – so „privat“ diese ihrem Ursprung nach sind und bleiben – universelle künstlerische Statements mit einer tiefwurzelnden archetypischen Verbindlichkeit.

Martin Seidel, aus dem Katalogtext "Der vierte Ton", 2017.


Aus der unmittelbaren Nähe einer Ateliergemeinschaft

Themen und Referenzen der Zierlschen Zeichnungen verdanken sich Quellen aus Literatur, Film, Tanz, Fotografie, aber auch der romanischen Skulptur und vielem mehr.
Dennoch scheinen sie, transformiert und Abbildhaftigkeit und Statik vermeidend, vor den Augen des Betrachters in ihrer trancehaften Unmittelbarkeit und Zufallszugewandtheit regelrecht zu "flackern".

Hiltrud Zierl ist zuallererst Zeichnerin. "Mein Strich gehört zu mir", hat sie einmal gesagt. Dieser Strich scheint das Dokument einer Dauer zu sein, sei es der der eigenen Lebensreflektion, sei es der einer Tanzfigur, oder der eines Schubertschen Liedes.
Dieser Strich taucht aus den Fasern des Papieres wie aus dem Nichts auf; oft flattert
sein loses Ende in den imaginären weissen Raum hinein.

Sie hat einmal gesagt, dass ihr Strich ein "respektloses, anarchistisches Element" behalten hat. Sie hat damit ihren unübersehbaren Mut zu einer gewissen Verwilderung in der künstlerischen Arbeit angesprochen. Offenbar misstraut sie der nur intelligenten Bildfindung zu Gunsten eines oft augenblickshaften Furors. Ihr Anliegen ist nicht an erster Stelle die Autonomie und Immanenz des Werkes, sondern das Primäre ist ja gerade das Staunen vor dem Vorgefundenen, vor der daliegenden Situation.

Rolf Schanko